Antrag: Einführung von Mietertickets (ÖPNV-Ticket bei Verzicht auf Auto-Stellplatz)

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

Mieterticket als Bestandteil von Mobilitätskonzepten

Wir stellen folgenden Antrag:

  • Mobilitätskonzepte als Bestandteil von Bebauungsplänen dienen unter anderem dazu, den Stellplatzschlüssel zu senken. Künftig wird dabei die Option Mietertickets aufgenommen.
  • Der Gemeinderat befürwortet die Einführung eines Mietertickets bei der GWG und beauftragt die Vertreterinnen und Vertreter des Gemeinderats im Aufsichtsrat der GWG und den Vorsitzenden des Aufsichtsrats der GWG, sich für deren Einführung einzusetzen.

Begründung:

Das Mieterticket in Neubaugebieten macht sich ein wichtiges Gelegenheitsfenster zunutze: Menschen, die ihren Wohnort wechseln, müssen sich im neuen Wohnumfeld orientieren. Das betrifft auch die Organisation ihrer Mobilität. Dabei sind sie häufig offener für Mobilitätsformen,
die sie bislang nicht nutzten, wie z. B. den ÖPNV. Für Wohnungsunternehmen wie die GWG kann das Mieterticket wettbewerbliche Vorteile schaffen, da das Kernprodukt „Wohnung“ durch ein integriertes Mobilitätsangebot aufgewertet wird. Neuen Mieterinnen und Mietern wird bei Abschluss eines Mietvertrags für die Dauer des Mietverhältnisses ein Mieterticket für den NALDO-Tarifverbund oder dem RSV zur Verfügung gestellt.

Entsprechende Vereinbarungen zwischen der Stadt und GWG, sowie privaten Investoren werden in Bebauungsplänen und städtebaulichen Verträgen fixiert. Mietertickets können entweder rabattierte oder kostenlose ÖPNV-Abonnements sein. Je besser die Vergünstigung, desto höher auch der Anreiz auf den PKW- bzw. Stellplatzverzicht.

Bestandsmietern der GWG, die nachweislich auf ein eigenes PKW bzw. auf einen Parkplatz verzichten, bekommen ebenfalls ein Mieterticket angeboten (Varianten – siehe unten). Das Ticket gilt für die Dauer des Mietverhältnisses. Die Einführung dieses Angebots hätte viele positive Aspekte. Wer Menschen zum Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr bewegen will, braucht ein gutes und günstiges Angebot. Die Gebäude der GWG liegen zum großen Teil in Gebieten, die durch die Busse der RSV gut erschlossen sind.

Mietertickets als Bestandteil von Mobilitätskonzepten ermöglichen den Stellplatzschlüssel und damit die Baukosten zu reduzieren. Die Baukostensenkungskommission stellte bereits 2015 fest, dass vor allem dort Einsparmöglichkeiten seien, „wo eine verminderte Stellplatzzahl den Verzicht auf die Errichtung einer Tiefgarage ermöglicht“ (Baukostensenkungskommission 2015: 89).

Ein Tiefgaragenstellplatz in einem typischen Mietshaus in einem Ballungsgebiet kostet in der Herstellung durchschnittlich zwischen 22.000 bis 26.000 Euro. Die Kosten für Stellplätze sind verschleiert, wenn Wohnung und Stellplatz zusammen gemietet werden. Eine Trennung der Kosten ist auch unter sozialen Aspekten gerecht – wer kein Auto besitzt muss keinen Stellplatz mieten – und schafft zudem Anreize, einen selten genutzten Pkw abzuschaffen.

Im Bestand kann Wohnungsneubau häufig nur in Baulücken stattfinden. Der Stellplatznachweis gelingt hier aus Platzmangel entweder gar nicht oder nur mit dem Bau kostenintensiver Tiefgaragen. Die Vorteile für andere Bewohner der entsprechenden Quartiere sind perspektivisch weniger Verkehr und weniger Parkdruck. Mehr Menschen in den Bussen statt im motorisierten Individualverkehr, dient dem Ziel der Stadt Reutlingen, den Modal-Split zugunsten des Umweltverbundes zu verbessern. Für die GWG würde das Angebot zudem ein
Alleinstellungsmerkmal am Reutlinger Wohnungsmarkt bedeuten.

„Wird von der Standardzahl bei Kfz-Stellplätzen abgewichen und sind die Kosten des Stellplatzes von der Miete entkoppelt, besteht die Sorge, dass Fahrzeughalter*innen in den öffentlichen Straßenraum des Wohnquartiers ausweichen oder in angrenzende Quartiere „fliehen“. Ein Faktor für den Erfolg eines Mobilitätskonzepts ist deshalb die Parkraumbewirtschaftung (kostenpflichtiges oder zeitlich beschränktes Kurzzeitparken, Bewohnerparken) nicht nur im Quartier, sondern auch in angrenzenden Bereichen.“ (Quelle: DIFU-Broschüre – siehe unten)

Realisierung:

Für die Umsetzung des Mietertickets bieten sich unterschiedliche Modelle an:

  • Sharing-Modell: Die Mieterinnen und Mieter teilen sich übertragbare Tickets. Die Fahrkarten werden durch das Wohnungsunternehmen bestellt, ausgegeben und verliehen. Die Tickets können kostenlos zur Verfügung gestellt oder die Nutzung im Rahmen eines Mietkonzepts verrechnet werden. Das Sharing-Modell setzt voraus, dass das Verkehrsunternehmen übertragbare Tickets anbietet.
  • Freiwilliges Mieterticket: Das Wohnungsunternehmen kauft ÖPNV-Fahrkarten und Abonnements in großer Anzahl und verhandelt dabei einen Großkundenrabatt. Durch die Weitergabe des Großkundenrabatts können interessierte Mieterinnen und Mieter vergünstigte Tickets kaufen.
  • Solidarticket: Beim Solidarticket wird allen Mieterinnen und Mietern ein Mieterticket zur Verfügung gestellt, das sie beispielsweise durch einen Aufschlag auf die Kaltmiete bezahlen müssen. Dabei kauft das Wohnungsunternehmen ebenfalls ÖPNV-Fahrkarten und Abonnements in großer Anzahl mit einem entsprechenden Großkundenrabatt, den sie weitergeben. So ist der Aufschlag auf die Kaltmiete geringer als die reguläre Anschaffung der entsprechenden Fahrkarte.

Die GWG schließt einen Kooperationsvertrag mit der RSV und oder NALDO ab. (Quelle: https://www.mobilikon.de/massnahme/mietertickets)

Referenzen:

Eine Studie des DIFU „Mobilitätskonzepte in neuen Wohnquartieren“ beschreibt mit 4 Praxisbeispielen Mobilitätskonzepte mit Mieterticket.

Seit dem 01. März 2022 führt der Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) im Rahmen eines Pilotprojekts ein neues Ticketangebot ein: Das Mieterticket wurde unter der Federführung der Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KB) in Kooperation mit der Wohnungsbaugenossenschaft
Erbbauverein Köln EG konzipiert.

Wer in einer Wohnung der Gemeinnützigen Wohnungsbau GmbH Marburg-Lahn wohnt, kann ab sofort 15 Prozent beim Kauf von RM-Jahreskarten sparen.

Das „MieterTicket“

Volkswohnung Karlsruhe:

https://volkswohnung.de/wohnen/mieterticket/

Marburg:

https://www.gewobau-marburg.de/neuigkeiten/mieterticket-15-rabatt-auf-jahreskarte.html

VCD-Faltblatt zum Mieterticket:

https://intelligentmobil.de/fileadmin/user_upload/Redaktion/Publikationsdatenbank/

WOMO_Faltblatt_Mietertickets_k5_190130_WEB.pdf

Gesellschaft für Informatik – Konzepte für Mietertickets zur Verknüpfung von Wohnen und Verkehr

https://dl.gi.de/handle/20.500.12116/1021

Juristische Grundlagen:

VwV Stellplätze – Verwaltungsvorschrift des Wirtschaftsministerium über die Herstellung notwendiger Stellplätze – Baden-Württemberg – Vom 28. Mai 2015

Zu § 37 Absatz 4: Aussetzen der Verpflichtung zur Herstellung notwendiger Stellplätze

§ 37 Abs.4 S.2 LBO räumt dem Bauherrn einen -Anspruch auf Aussetzung der Herstellung der notwendigen Stellplätze ein. Soweit und solange nachweislich ein Stellplatzbedarf nicht oder nicht in vollem Umfang besteht, z.B.. weil die Bewohner kein Kraftfahrzeug halten, ist die Verpflichtung zur Herstellung der gleichwohl notwendigen Stellplätze auszusetzen. Da die Stellplatzverpflichtung als solche dadurch nicht berührt wird, muss in diesen Fällen die Fläche für die zu einem späteren Zeitpunkt eventuell herzustellenden Stellplätze durch Baulast
gesichert sein. Die Vorschrift kommt z.B. bei solchen Wohngebäuden zur Anwendung, die einer zeitlich begrenzten Belegungsbindung zugunsten von alten Menschen unterliegen. In Betracht kommt aber auch eine teilweise Aussetzung der Pflicht zur Herstellung der notwendigen Stellplätze im Verhältnis zu dem Umfang, in dem ein Arbeitgeber den Beschäftigten in der betroffenen baulichen Anlage – dies ist das Gebäude mit den Geschäftsräumlichkeiten – preisgünstige Zeitkarten für den ÖPNV ( Job-Tickets ) zur Verfügung stellt und so den tatsächlich von der Anlage ausgelösten ruhenden Verkehr vermindert. Der Nachweis über das Vorliegen der Voraussetzung zur Aussetzung der Verpflichtung zur Herstellung der notwendigen Stellplätze obliegt dem Bauherrn; die Baurechtsbehörde legt in der Entscheidung über die Aussetzung fest, in welcher Form und in welchen zeitlichen Abständen der Nachweis zu erbringen ist.

Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Weckmann und Carola Rau
Stadträte Linke Liste Reutlingen